Mit Defiziten leben

Lange habe ich nichts mehr geschrieben. Erst kürzlich sagte ich jemandem, der nachfragte, ob ich denn nichts mehr veröffentlichen würde auf meinem Blog, ich hätte der Welt nichts mehr mitzuteilen.Das ist eigentlich immer noch wahr, trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich genau zu diesem Thema, „mit Defiziten leben“, dann doch noch etwas zu schreiben habe. Den Anstoß Dazu gab zum einen ein Post von Ursula Löckenhoff auf Instagram und zum einen ein einschneidendes Erlebnis während meines Urlaubs mit Detlev und meinen Hunden.

De-fi-zit

Ich habe es extra noch mal nachgeguckt: Der Duden definiert ein Defizit als einen Fehlbetrag oder auch als „etwas, was als Mangel festgestellt wird“. Das, woran es meinem Riesenschnauzer mangelt, ist eindeutig die Geduld und die Nachsicht, sich mit anderen Hunden auseinanderzusetzen. Persönlich sehe ich das nicht einmal als einen Mangel an Sozialisierung, wie mir viele Hundebesitzer gerne malvorwerfen. Carotte hat, wie ich finde, ein recht ausgeprägtes Gefühl für Benimm und dazu gehört in ihren Augen nun einmal, dass man sich gegenseitig zur Kenntnis nehmen und sich dann einfach in Ruhe lassen kann. Ich habe den richtigen Hund zur falschen Zeit, wie ein Freund es unlängst so schön formulierte.

Der richtige Hund...

Im Grunde möchte Carotte nur in Ruhe gelassen werden. Sie ist ein so toller Hund mit so viel Geduld und Nachsicht für alle, die zur Familie gehören. Gleichzeitig ist sie bedingungslos loyal mit einerordentlichen Portion Wehrhaftigkeit, die ihre Rasse eben oft so mit sich bringt. Ich bin mir sicher, sie würde sich für mich in Stücke reißen lassen, sollte es jemals erforderlich werden.Gleichzeitig jedoch hat sie eben wenig Toleranz für in ihren Augen unhöfliches und übergriffiges Verhalten.
Sie hat eine Individualdistanz, die sie nicht unterschritten sehen möchte. Und trotzdem schafft sie es, wohl eher uns zuliebe als einer inneren Einsicht folgend, sich auch in der Stadt und auf dem Campingplatz so weit zusammenzureißen, dass sie pöbelnde Hunde ignoriert, sofern diese ihr vom Leib bleiben.

... die falsche Zeit

Und da beißt sich die Katze in den Schwanz. Oder eben der Hund. Je nachdem.
Immer wieder erlebe ich, egal ob zu Hause oder im Urlaub, Menschen, die der Meinung sind, dass Hunde immer und unter allen Umständen miteinander auskommen müssen und alles alleine regeln können. Die glauben, dass es allein an mir liegen muss, wenn Carotte eben nicht mit jedem fremden Hund „spielen“ möchte. Die ernsthaft glauben, dass auf uns zulaufende, kläffende und keifende Hunde von meinem Riesenschnauzer als „Spielkameraden“ wahrgenommen und entsprechend behandelt werden müssen. Die dann völlig außer sich sind, wenn mein Hund sich zur Wehr setzen möchte. Was ich mir deswegen schon an Beschimpfungen anhören musste, ist erstaunlich. Dabei wollen wir eigentlich nur in Ruhe gelassen werden, mein Riesenschnauzer und ich.

Die moralische Verantwortung

Was bleibt ist die moralische Verantwortung. Die Frage nach dem richtigen Hund oder der falschen Zeit stellt sich für mich eigentlich nicht. Denn es ist, was es ist. Wenn sich ein kleiner Hund ungebremst und in eindeutig unfreundlicher Absicht auf meinen Riesenschnauzer stürzt, dann ist es am Ende immer der kleine Hund, der Federn lässt. Carotte, je älter sie wird, macht immer weniger Federlesens. Sie hat einfach keine Geduld mehr und kein Interesse daran, irgendwelche Gefangen zu machen. Sie möchte einfach nur, dass es aufhört. Ihre Devise könnte man als „mach, dass die Lämmer zu schreien aufhören“ beschreiben. Schön ist das dann nicht, was für den anderen Hund dann dabei rausspringt.
Meine moralische Verantwortung liegt also darin, dafür zu sorgen, dass es keine Verletzten gibt. Wenigstens nicht bei dem „der-will-doch-bloß-spielen-Fifi“. Dass Carotte immer wieder mal auch gebissen worden ist - geschenkt. Die kleinen Bisse hat sie weggesteckt. Die Bisse, die sie bereit ist zu verteilen, hinterlassen bleibendere Schäden, in jeder Beziehung.

Die Defizite im Miteinander

Ich passe also auf. Setze meinem Hund wieder einen Maulkorb auf. Freiwillig, nicht weil ich muss, sondern weil ich das Gefühl habe, meiner Verantwortung gerecht werden zu müssen und andere Hunde vor der - Entschuldigung - Dummheit und Unwissenheit ihrer Besitzer schützen zu müssen. Natürlich würden die Hunde es auch „untereinander“ regeln können, wenn ich meinen Hund doch nur „endlich mal gewähren lassen“ würde, wie mir manch ein Hundebesitzer immer wieder mal vorwirft. Am Ende ist dann aber ein Hund schwer verletzt. Mindestens. Und es hilft auch mir und meinem Hund wenig, wenn mir von wildfremden Menschen vorgeworfen wird, dass ich meinen Hund mit Maulkorb führe. Dass ich darüber belehrt werde, dass mein Hund nur deshalb „böse“ sei, weil ich selber so ein böser Mensch sei. 

Die Defizite meines Hundes sind also gar nicht so sehr das Problem. Damit könnte ic prima leben. Womit ich aber eben nicht so gut leben kann sind die Defizite meiner Umwelt. Das halbgare Wissen über Hunde. Das Sendungsbewusstsein all der selbsternannten Spezialisten, die mich immer wieder belehren müssen. Die Unfähigkeit mancher Menschen, mal ein bisschen Rücksicht zu nehmen. Den eigenen Hund entweder zu erziehen oder ihn wenigstens an die Leine zu nehmen, wenn er denn nicht hört.

Was bleibt...

..., für mich, ist die Notwendigkeit mich zu versöhnen mit dem, was ist und vor allem: Im Augenblick zu bleiben. Mir nicht mit jedem neuen Nachbarn, der auf dem Stellplatz neben mir einparkt, Sorgen zu machen, ob der wohl gleich seinen unangeleinten Hund aus dem Fahrzeug auf uns zu rennen lässt. Mich nicht zu ärgern, wenn andere Wohnmobilfahrer ihre Hunde eben nicht anleinen und auch nichts daran finden, wenn diese bei jedem anderen Wohnmobil einmal vorbeischauen und gucken, ob es wohl irgendwo Hunde zu begrüßen gibt. Und vor allem: Mich nicht immer zu entschuldigen dafür, dass mein Hund kein Verständnis hat.

Und während ich das schreibe, habe ich in meinem Rücken ein Gruppe Wohnmobilfahrer nebst Hund, dessen persönliche Freiheit selbstverständlich nicht dadurch eingeschränkt werden kann, dass er an die Leine gelegt wird, wie jeder andere Hund hier auf dem Stellplatz. Besagter Hund hat eben schon die übernächsten Nachbarn, zwei Huskys, besucht, die nur so mittelmäßig begeistert über die Stippvisite waren. Der Rottweiler zwei Plätze weiter liegt auch schon auf der Lauer, aber das berührt die Leute so gar nicht. Dann und wann höre ich ein etwas hektisches „Fifi, komm sofort hierher...“, weitere Maßnahmen werden aber vorerst nicht getroffen.

Ich versuche mich zu entspannen, verzichte darauf, die Leute zu bitten, ihren Hund an die Leine zu nehmen oder mich dafür zu rechtfertigen, warum es mir lieber wäre, wenn der Hund eben nicht frei auf dem Platz rumlaufen würde.

Diese Haltung, neu noch und vorerst mehr gedacht als ehrlich gefühlt, habe ich vor allem meinen Stellplatz-Nachbarn der letzten Tage zu verdanken. Babsy und Uwe, wenn ihr das lest: Danke!