Detlev und ich im Land zwischen den Meeren

Diesen Herbst hatten Detlev und ich uns aufgemacht nach Schleswig-Holstein - ins Land zwischen den Meeren. Ausnahmsweise nur mit einem Hund. Wenn man eine Schwester hat, die Physio-Therapeutin für Hunde ist und wenn diese Schwester gleichzeitig noch eine Fortbildung in Osteopathie macht - dann kommen die eigenen Hunde gelegentlich mal in den Genuss eines Freifahrtscheins für ein Wellness-Wochenende. Dieses Mal hatte Carotte selbigen gewonnen und da sie eh nicht unbedingt gesteigerten Wert aufs Wohnmobilfahren legt, sind Digger und ich guten Gewissens alleine in den Urlaub gezogen.

Eigentlich hatte ich diesen Herbst in die Normandie fahren wollen. Seit ich letztes Jahr dort Urlaub gemacht habe, hat mich die wilde Schönheit dieser Region nicht mehr losgelassen. Aber als dann die Herbstferien vor der Tür lagen, zwei Wochen lang aber eben auch zwei Wochen kurz, hatte ich es nicht mehr in mir, 1000 km hin und auch 1000 km zurück zu fahren. Aus vielerlei Gründen war mir nach Urlaub vor der Haustür.

Schon allein der Name hatte es mir angetan: "Das Land zwischen den Meeren". In meinen Ohren klang das sehr poetisch. Und wem es, wir mir, schon mal passieren kann, einen Hund wegen seines Namens zu wählen, der kann dann auch seine kompletten Reisepläne deswegen umwerfen: Diesen Herbst also Schleswig-Holstein. Davon abgesehen hatte ich es, in all den Jahren, die ich in Amerika gelebt habe, nie geschafft, einmal von der Westküste an die Ostküste zu fahren. Jetzt wollte ich das nachholen, und sei es eben nur in Schleswig-Holstein.

Insgesamt war die Reise mehr als nur ein Urlaub. In vielerlei Hinsicht war es auch eine Reise zu mir selbst. Ein Touchstone meiner eigenen Seelenbefindlichkeit. Vor den Ferien war ich beruflich so eingespannt gewesen, immer unter Hochspannung, jeder Tag bis zum Rand gefüllt, dass ich die ersten Tage unterwegs tatsächlich ein bisschen in mein inneres Loch gefallen bin. Ich habe es in meinem Einsamkeitsartikel schon ausführlich beschrieben und viele Menschen haben mir darauf geantwortet. Um dieses Missverständnis, das bei einigen offensichtlich entstanden ist, aber auszuräumen: Meiner Meinung nach hat Einsamkeit nichts mit Alleinsein zu tun. Ich glaube, dass wirklich jeder Mensch einsam ist, dass Einsamkeit einen wesentlichen Bestandteil unseres Menschseins ausmacht. Damit kann man sich auseinandersetzen, muss es aber natürlich nicht. Wenn man aber wie ich von der völligen Anspannung (im Beruf) in die absolute Entspannung (im Urlaub) wechselt und den eigenen Befindlichkeiten versehentlich Raum und Gehör gibt... dann kann es ganz ungeahnte Begegnungen mit dem eigenen Ich geben. So jedenfalls ist es mir auf dieser Reise ergangen.

Es gibt ja für alles ein erstes Mal. So auch für das Fährefahren. Obwohl ich zuhause direkt am Fähranleger wohne, hatte ich es bislang nicht ein einziges Mal geschafft, mit Detlev per Fähre über die Weser zu fahren. Chicken, das ich manchmal sein kann, hatte ich immer den Weg über die Brücken im Süden oder durch den Tunnel im Norden gewählt, um auf die andere Weserseite zu gelangen. Das sollte sich jetzt ändern.

In den Verkehrsnachrichten wird es ja oft erwähnt: Wenn man Pech hat, kann man an der Fähre Wischhafen - Glückstadt auch gerne mal 1,5 Stunden Wartezeit einplanen, insbesondere dann, wenn die A1 und/oder der Elbtunnel zu sind. Da ich aber, wie so oft, Detlev Mittwochmittag zwar schon in Fluchtrichtung vor der Schule geparkt hatte, ich aber vor dem Start in den Urlaub Carotte noch bei meiner Schwester abgeben musste, hatte ich sowieso den Plan, abends nur noch (unter Vermeidung der Autobahn) bis nach Wischhafen zu fahren und dort auf dem Wohnmobilstellplatz direkt am Fähranleger zu übernachten. Und das war eine richtig gute Idee, denn erstens ist der Stellplatz direkt an der Elbe auf seine schlichte Art sehr schön und zweitens konnte ich morgens tatsächlich ohne weitere Wartezeit direkt auf die Fähre rollen.

In Glückstadt bin ich zuletzt gewesen, als ich dort mit einem Segelboot angelegt hatte. Das ist lange her. Sozusagen kannte ich den Ort also nur von der Elbseite und wollte ihn unbedingt mich unbedingt auch mal von der Landseite her dem Ort nähern und ich wurde nicht enttäuscht. Nicht nur, dass der Stellplatz direkt am Hafen sehr schön ist, wenn man eben die eher raue Hafenromantik eines WoMo-Platzes zu schätzen weiß, Glückstadt selber und vor allem auch die Umgebung waren tatsächlich eine Reise wert. 

Nordfriesland und im besonderen die Nordseeküste sind für Wohnmobilfahrer ähnlich gut erschlossen wie Ostfriesland. Stellplätze gibt es en masse und eigentlich hatte ich immer nur die Qual der Wahl, wo genau ich am Abend zu stehen kommen wollte. An manchen Tagen habe ich mich nicht mal 50 km weit die Küste raufbewegt. An anderen Tagen habe ich mich nur ein Stück landeinwärts treiben lassen... Da das Wetter nur mäßig war, gab es trotz Herbstferien wirklich überall genug Platz für Detlev und mich. 

Nordfriesland ist schön. Der Fisch ist lecker. Das weiter flache Land weckt wie immer eine unbestimmte Sehnsucht in mir, je grauer das Wetter umso mehr. Trotzdem, vielleicht bin ich eben doch heimatverbundener, als ich es gerne zugeben möchte, war die nordfriesische Nordseeküste im Vergleich zu Ostfriesland eine Enttäuschung. Vielleicht, weil es in Ostfriesland einfach mehr Orte gibt, an denen man direkt bis an das Meer fahren, an denen man abends im Wohnmobil sitzen und auf das Wasser gucken kann. Vielleicht habe ich in Nordfriesland aber auch einfach noch nicht die richtigen Orte für mich gefunden. Wer weiß. Jedenfalls war es insgesamt nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Büsum hat ein tolles Wattenmeer mit festem Boden zum Laufen. Digger und ich waren stundenlang im Watt unterwegs, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Friedrichstadt war schön. Wollum an der Eider für Radtouren fantastisch und der Stellplatz eine Oase der Ruhe. Und überall gab es fantastischen Fisch zu essen. St. Peter Ording hat einen fantastisch großen Hundestrand und - jedenfalls außerhalb der Saison - auch eine ziemlich entspannte Auslegung der Leinenpflicht außerhalb des markierten Hundeauslaufes. Jedenfalls war das mein Eindruck. Dafür konnte ich dem Ort an sich allerdings nicht so wahnsinnig viel abgewinnen. 

Husum dagegen war toll, schon wegen Theodor Storm und seinem Liebesgedicht an diese Stadt... So lange, wie ich dieses Gedicht kenne, wollte ich immer schon mal nach Husum kommen und ich wurde nicht enttäuscht, schon allein deshalb, weil Digger und ich einen ganzen Vormittag lang auf Storms Spuren laufen und sowohl Storms Geburtshaus, sein Wohnhaus, seine Schule als auch das Haus angucken konnten, das für Pole Poppenspäler Pate gestanden hatte. Von den hervorragenden Fischbrötchen am Hafen mal ganz abgesehen.

Von einer sehr netten Wohnmobilnachbarin in Büsum bekam ich den Tipp, auf jeden Fall in Langballigau Halt zu machen, sollte ich es doch noch an die Ostküste schaffen. An dieser Stelle noch mal vielen Dank für diesen Tipp: Langballigau ist so, so schön! Der Stellplatz liegt direkt am Strand und ich konnte tatsächlich abends mit Blick auf das Meer im Wohnmobil sitzen und den Tag im Horizont verschwinden sehen. Darüber hinaus gibt es ein tolles Fischrestaurant in Langballigau, einen nicht minder guten Fischimbiss und ausgesprochen nette Menschen auf dem Campingplatz und in der Anmeldung - ich bin sicher nicht das letzte Mal hier gewesen.

Der Stellplatz liegt außerdem direkt am Fördesteig und Digger und ich haben eine tolle Wanderung an der Küste entlang und durch das Tal der Langballigau gemacht und sowohl viele nette Menschen getroffen als auch kilometerlange Einsamkeit genossen. Es war wirklich toll, wenn ich auch sagen muss, ohne meinen Riesenschnauzer finde ich lange Wege durch düstere Schinderhannes-Wälder nur halb so entspannt wie sonst. Digger ist ein toller Hund und wirklich verständnisvoller, gefälliger Begleiter, aber ob er mich unbedingt gegen finstere Menschen verteidigen würde... ich wage es zu bezweifeln.

Und dann, wenn man Glück hat, kommt man irgendwo an. An einem Ort, der sich wie Heimat anfühlt. Ein Sehnsuchtsort. Auch wenn man bis dahin keine Ahnung hatte, dass es diesen Ort überhaupt gibt. Oder dass es etwas gibt, wonach man Sehnsucht hätte haben könnte. Was gefehlt hat, bis dahin. Wackerballig war so ein Ort für mich.

Ich habe versucht, danach noch weiter zu fahren. Wirklich. Aber Eckernförde war, obwohl bestimmt eigentlich eine hübsche Stadt, eine Enttäuschung. Auch wenn ich genau an dem Tag angekommen bin, als die Saison vorbei und es Hunden wieder erlaubt war, mit an den Strand zu kommen. Und Eckernförde hat einen sehr schönen Strand. Quasi mitten in der Stadt. Digger hat es gefallen. Aber ich hatte Sehnsucht. Kurzzeitg hatte ich noch über Kappeln nachgedacht, über Kiel , über Hohwacht. Nichts hat sich angefühlt wie Wackerballig.

Ich kann nicht genau sagen, was es ist. Die Menschen. Das Meer, das genau am Stellplatz endet. Oder, wie ich gelernt habe: Nicht wirklich das Meer, sondern "nur" die Flensburger Förde. Das wunderschöne Naturschutzgebiet der Geltinger Birk, in dem ich eine fantastische Fahrradtour gemacht und mit Digger die Wanderwege abgelaufen habe. Wo die weidenden Galloway-Rinder ein bisschen "Jenseits von Afrika"-Stimmung verbreiten. Der Fördersteig, der auch hier an der Küste verläuft. Das Fischrestaurant direkt am Stellplatz. Die tiefenentspannten, aber trotzdem rücksichtsvollen Hundebesitzer. Meine netten Stellplatz-Nachbarn. Der nicht minder nette Hafenmeister... 

Was auch immer es war. Wackerballig ist zu meinem "Due North" geworden, der Ort, an dem meine Meridiane zusammenlaufen. Auch wenn der Kompass manchmal woanders hinzeigt.

Insgesamt also ist Schleswig-Holstein ein toller Urlaub gewesen, auch wenn Nordfriesland vielleicht nicht ganz so toll war, wie ich es mir vorgestellt habe. Und obwohl ich ganz sicher nicht mal die Hälfte von dem gesehen habe, was ich mir vorgenommen habe, habe ich ganz sicher einiges mehr erlebt, als ich mir vorher so vorgestellt hätte, für meine Reise mit Detlev, ins Land zwischen den Meeren.